To our foreign readers: we are sorry, but this page is not available in english.

S.O.S Chiquitania

Biodiversitätsverlust durch Abholzungen

Der traurige Weg zur digitalen Ökologie


Der endemische Chiquitano Trockenwald im Osten Boliviens steht unter enormen Druck durch die Viehwirtschaft. Auch unsere Untersuchungsgebiete sind drastisch davon betroffen: Dort, wo wir im Jahre 2017 Kamerafallen im Wald aufgestellt haben, sind große Bereiche des Waldes zerstört. So werden wir unfreiwillig von Biodiversitätsbeobachtern zu Chronisten des Biodiversitätsverlusts. Große Teile des WildLIVE! Datensatzes sind heute Abbilder einer vor kurzem noch intakten Wildnis, die heute nur noch digital erlebbar ist.

Die Chiquitania, die etwa 27 Mio ha große Region im Osten Boliviens, beherbergt eine Vielzahl unterschiedlicher ursprünglicher Landschaften und Lebensräume, wie zum Beispiel den endemischen Chiquitano Trockenwald. Durch die sich immer weiter und schneller ausbreitende Viehwirtschaft wird diese Wildnis durch menschengemachte Waldbrände und gezielte Abholzungen immer weiter zerstört. Allein im Jahre 2019 wurden während der “Feuersaison” 12% der Fläche des Trockenwalds verbrannt. Aktuellen Schätzungen zufolge sind von den jährlichen Bränden mindestens 1.600 Tier- und 4.000 Pflanzenarten betroffen; darunter etwa 150 Säugetiere wie Jaguar, Tapir oder großer Ameisenbär sowie 60 bis 90 Froscharten. Der rasant steigende Waldverlust durch Viehwirtschaft verändert jetzt schon das lokale Klima und die Niederschläge, das heißt es wird wärmer und trockener. Dies schadet nicht nur einzelnen Arten, wie z.B. den Fröschen, sondern dem gesamten Ökosystem. Es macht den Wald sehr viel anfälliger für Waldbrände, aber auch die Viehwirtschaft wird durch vermehrte Dürrezeiten immer unrentabler. Es ist aller höchste Zeit, die verbleibenden Wälder nachhaltig zu schützen.

Unser Untersuchungsgebiet ist ein greifbares Beispiel für den Biodiversitätsverlust in der gesamten Region. Diese Satellitenbilder zeigen eine unserer Flächen und die Positionen einiger unserer Fallen (Links: Zustand im August 2020, rechts August 2021): 

Dort, wo wir im Jahre 2017 Kamerafallen im Wald aufgestellt haben, steht heute teilweise kein Baum mehr. Für uns ist das schwer zu fassen, denn wir haben dieses Gebiet über die Jahre kennen und lieben gelernt. Statt die Biodiversität jedoch weiter zu beobachten, wurden wir unfreiwillig zu Chronisten des Biodiversitätsverlusts. Große Teile des WildLIVE!-Datensatzes sind heute Abbilder einer zerstörten Wildnis, die man nur noch im digitalen Raum betreten und erleben kann.

Das Schicksal dieses gefährdeten Waldtyps, ebenso der gesamten Region, hängt also stark von den Entscheidungen über die zukünftige Landnutzung ab, die heute gemacht werden. Wir versuchen nun, ein Projekt zu entwickeln, um nachhaltige Landnutzungskonzepte umsetzen und die Entwaldung in der Chiquitano-Region zu verlangsamen. Dies wollen wir durch partizipatives Ökosystem-Monitoring erreichen – ein auf die lokale Bevölkerung stark ausgeweitetes WildLIVE!-Projekt. Wir hoffen, durch 1) den Austausch zwischen indigenen Kommunen und Viehzüchtern bzw. Landbesitzern, 2) die Verknüpfung der Akteure mit ihrer natürlichen Umgebung, und 3) die Verbesserung des Wissens über die ökologischen Reaktionen auf Landnutzungsänderungen eine nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen in der Region zu fördern. Dies wäre auch eine Botschaft der Hoffnung an lokale und internationale Organisationen, wie man die Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel in Landschaften unter Druck durch die Schaffung einer gemeinsamen Handlungsvision erhöhen kann.

Unser Ziel ist ein Projekt, das auf den drei Ebenen Wissenschaft, Gesellschaft und Naturschutz agiert. Gemeinsam mit Wissenschaftlern der Forschungsstation “Chiquitos” dokumentieren indigene Kommunen und Landbesitzer die Biodiversität in Bolivien.  Daraus kann Naturschutz werden: Die gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse unserer Langzeitbeobachtungen sind wichtige Informationen für politische, aber auch private Entscheidungsträger (z.B. Landbesitzer). 

Publikationen über Biodiversitätsverlust in der Chiquitania

Letter to Science (2019): Auch in Südamerika wüten jährlich zur Feuersaison unzählige Waldbrände. Allein in Bolivien sollen bis jetzt über 2,1 Millionen Hektar Land betroffen sein – vor allem in der Region Chiquitania im östlichen Bolivien. Aktuellen Schätzungen zufolge sind von den dortigen Bränden mindestens 1.600 Tier- und 4.000 Pflanzenarten betroffen; darunter etwa 150 Säugetiere wie Jaguar, Tapir oder großer Ameisenbär sowie 60 bis 90 Froscharten. In einem offenen Brief in der Fachzeitschrift Science” fordert ein internationales Team von Forschern – darunter auch der Senckenbergforscher Martin Jansen – die bolivianische Regierung auf, die verbleibenden Wälder nachhaltig zu schützen. 

Frosch sendet S.O.S.: Von Senckenbergern neu entdeckte Froschart durch akute Entwaldung in Bolivien bedroht.

 „Wir gehen davon aus, dass noch viele weitere Froscharten in der Region unentdeckt sind. Ob wir diese noch beschreiben können, hängt auch davon ab, wie in Zukunft mit der Natur umgegangen wird.” erklärt Dr. Martin Jansen vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt.

F.A.Z. vom 15.09.2019: Bericht über die verheerenden Brände im Sommer 2019.

Martin Jansen ist Biodiversitätsforscher des Senckenberg-Instituts in Frankfurt am Main und besorgt über die aktuelle Entwicklung: „Wir verlieren alle ein Stück Wildnis, ja einen kompletten Lebensraum, den wir im Einzelnen noch kaum kennen.“ 

Lebensraum in Flammen: Neu entdeckte Froschart bedroht

Benannt wurde die neue und akut gefährdete Froschart Dendropsophus rozenmani nach Jaimé Rozenman, Besitzer eines privaten Naturschutzgebiets, in dem der Frosch entdeckt wurde. „Jedes noch so kleine Schutzgebiet macht einen Unterschied, und das Engagement von Landbesitzer*innen wie Rozenman sollte honoriert werden“, erklärt Dr. Martin Jansen und resümiert: „Um die Lebensräume zahlreicher Tiere und Pflanzen zu erhalten, muss sich die Agrar-, Handels- und Umweltpolitik grundlegend ändern. Ich meine nicht nur in Bolivien, sondern auch bei uns – die Flächen in Südamerika brennen auch, weil die Nachfrage nach Soja und Fleisch vor allem aus Europa und China befriedigt wird.“